Engel vor dem Fenster by Patricia Koelle

Engel vor dem Fenster by Patricia Koelle

Autor:Patricia Koelle [Koelle, Patricia]
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: Weihnachtsgeschichten, Weihnachten, Advent, Wintergeschichten
ISBN: 9783939937692
Herausgeber: Dr. Ronald Henss Verlag
veröffentlicht: 2016-08-25T00:00:00+00:00


Pate für einen Engel

Dies war schon der dritte Friedhof, über den Ferdi Clausen in diesem Monat schlenderte. Er wusste nicht genau warum, denn Elsa war nicht hier. Damals hatten sie die Idee mit der Seebestattung gut gefunden, seine Elsa und er. Sie waren so gerne am Meer gewesen, wenn sie sich einen Urlaub leisten konnten, fühlten sich frei dort, als wäre alles möglich. Nur war er jetzt zu alt geworden, um oft an die Küste zu fahren, und so fehlte ihm ein Platz, an dem er Elsa nahe sein konnte.

Ferdi beobachtete eine alte Dame, die sich zärtlich über ein Grab beugte und eine Kerze anzündete. Er selbst hatte letztes Jahr am ersten Advent ein Teelicht in einem Papierschiffchen auf Reisen geschickt, für Elsa. Doch bis zum Meer war es bestimmt nicht gefahren. Und am zweiten Advent war der Fluss schon zugefroren.

Auf Friedhöfen, wo andere Menschen mit ihren Toten Zeit verbrachten, fühlte er sich – nun, friedlich eben. Außerdem war die Luft hier frisch und der Stadtlärm blieb vor den Mauern zurück. Zugegeben, November war kein guter Monat, um sich zwischen Gräbern herumzutreiben. Doch es hatte zum ersten Mal geschneit, ganz wenig, und die leichte weiße Schicht, die in der tiefen Sonne funkelte, verlieh den alten Steinen und Mauern, selbst dem Efeu eine heitere Note. Es war ein schöner Friedhof, mit alten Steinen, die Geschichten erzählten von ehrbaren Geschäftsleuten, unvergessenen Pfarrern und von Großfamilien, deren leicht zueinander in Schräglage geratenen Gedenksteine wie in lautloser Unterhaltung wirkten.

Die alte Dame sah hoch, blickte Ferdi misstrauisch an. Er fühlte sich wie ein Eindringling. Was hatte er hier auch zu suchen? Die Hände verschämt in die Taschen vergraben, machte er sich daran, den Ausgang wiederzufinden. Er sah das schmiedeeiserne Tor schon in der Ferne, als er sich beobachtet fühlte und stehen blieb. Niemand war zu sehen. Er machte einen Schritt, hielt wieder an. Da war doch jemand! Er spürte ganz deutlich eine Gegenwart. Von rechts. Da war eine verwilderte Buchsbaumhecke, beinahe mannshoch. War er aber nicht gerade an einem kleinen Tor in dieser Hecke vorbeigegangen? Tatsächlich. Ferdi spähte darüber hinweg. Die Sonne war verschwunden, das Funkeln im Schnee erloschen. Dämmerung nistete sich in den Ecken ein. Ferdis Gefühl hatte ihn nicht getrogen. Da stand wirklich jemand, ihm gegenüber.

Falsch, der andere saß. Saß anmutig auf einer niedrigen Säule, den Kopf nachdenklich in die Hand gestützt, den Blick nur leicht gesenkt. Groß, größer als Ferdi. Ein Engel! Ein halbrundes Gewölbe schützte ihn, von zwei Säulen flankiert.

Aber ach, der Engel trug schwer am Schmutz der Stadt. Er war aus einst weißem Marmor, doch nun lag Ruß auf seinen Schultern, seinem Gewand und seinen Flügeln, vor allem auf den langen Spitzen. Auch der rechte Arm, die Haare, die in seine Stirn fielen, und die Nase waren schwarz. Nur der nackte Fuß, der aus dem Schutz des Gewölbes herausragte, war schneeweiß. Ferdi war, als hätte die Trauer über so manches, was in der Stadt geschah, sich hier sichtbar niedergelassen. Doch was für ein Gesicht hatte dieser Engel! Es war anmutig, aber nicht gekünstelt.



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